Fachnews
Schätzung der Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der ImmoWertV erneut durch den BFH bestätigt

Entgegen dem BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 kann sich der Steuerpflichtige zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG jeder sachverständigen Methode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Dies urteilte der BFH am 23. Januar 2024 und wirkt damit einer Überspannung der Feststellungslast des Steuerpflichtigen entgegen.

14.06.2024
Unternehmens- und Immobilienbewertung

Bei Gebäuden sind als AfA (Absetzung für Abnutzung) grundsätzlich die in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten festen Prozentsätze von den Anschaffungskosten abzuziehen. Den Prozentsätzen liegt jeweils eine typisierte Nutzungsdauer zugrunde, die mit der tatsächlichen Nutzungsdauer im Erwerbszeitpunkt nichts gemein haben muss. Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG können anstelle der Absetzungen nach Satz 1 der Vorschrift die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer im gesetzlichen Sinne ist der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV).

Dem Steuerpflichtigen wird per § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Wahlrecht eingeräumt, ob er sich mit der Anwendung des typisierten festen AfA-Satzes zufriedengibt oder eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer geltend machen möchte. In diesem Fall liegt die Darlegungs- und Feststellungslast beim Steuerpflichtigen.

Streitfall

Der BFH hatte zum wiederholten Mal darüber zu befinden, wie Steuerpflichtige eine kürzere Restnutzungsdauer nachweisen müssen.

Urteil und Begründung

Der BFH entschied mit Urteil vom 23. Januar 2024 (Az. IX R 14/23, veröffentlicht am 11. Mai 2024), dass die durch einen Sachverständigen festgestellte kürzere Restnutzungsdauer revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist und begründete dies mit bereits bekannten Aspekten der Rechtsprechung:

  • Die Schätzung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer verlangt nach allgemeinen Grundsätzen keine Gewissheit, sondern vielmehr nur größtmögliche Wahrscheinlichkeit.
  • Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer jeder sachverständigen Methode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint (entgegen BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023).
  • Die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 ist eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode, die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden kann.
  • Der schlichte Verweis durch den Steuerpflichtigen auf die modellhaft ermittelte Gesamt- und Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnunggenügt nicht, um eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne von  7 Abs. 4 Satz 2 EStG darzulegen und nachzuweisen.
  • Begründet der Steuerpflichtige die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer mit einer wirtschaftlichen Abnutzung oder einer auf rechtlichen Gegebenheiten beruhenden früheren Entwertung, bedarf es keiner sachverständigen Feststellung zum technischen Verschleiß des Gebäudes, da die kürzere wirtschaftliche oder rechtliche Nutzungsdauer entweder nur bedingt oder zumeist gar nicht vom technischen Gebäudezustand abhängig ist.
Einschätzung

Das vorliegende Urteil des BFH trägt maßgeblich dazu bei, die Feststellungslast des Steuerpflichtigen zu mindern, da eine bestimmte Gutachtenmethodik oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren zur Feststellung der zu schätzenden Restnutzungsdauer nicht vorgegeben ist. Unabhängig davon bedeutet das Urteil in der Praxis, dass für die Geltendmachung der abweichenden Nutzungsdauer i. S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nach wie vor ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erforderlich ist, das sich insbesondere zu den individuellen Begebenheiten des zu bewertenden Objekts äußert.

Ggf. können sich außerdem Zielkonflikte zwischen der Aufteilung des Kaufpreises auf Grund und Boden und Gebäude sowie der geringeren Nutzungsdauer ergeben. Bei der Kaufpreisaufteilung soll ein möglichst großer Anteil auf das Gebäude entfallen, um eine größtmögliche Abschreibung zu erzielen. Eine geringere Nutzungsdauer führt aber ggf. zu einem geringeren Wert des Gebäudes am Kaufpreis.

Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber zukünftig auf das Urteil reagiert. Bereits im Rahmen des Wachstumschancengesetzes hatte der Bundesrat eine Gesetzesanpassung in Bezug auf die Gutachten zum Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer angeregt, die allerdings nicht verwirklicht wurde. Wir halten Sie diesbezüglich auf dem Laufenden.

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Senior Associate, Steuerberater, Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e. V.)

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