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Verstoßen die Vorschriften über die Abgeltungssteuer gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG?

Der 7. Senat des Niedersächsischen FG ist der Ansicht, dass die Regelungen über die Abgeltungssteuer gem. §§ 32d Abs. 1, 43 Abs. 5 EStG gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen und somit verfassungswidrig sind. Nunmehr muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Regelungen mit der Verfassung vereinbar sind.

22.08.2022
Hintergrund

Einkünfte aus Kapitalvermögen (z. B. Zinsen, Dividenden etc.) werden seit dem 1. Januar 2009 mit dem Einkommenssteuersatz in Höhe von 25 % zuzüglich des Solidaritätszuschlags und ggf. Kirchensteuer versteuert. Der Gläubiger der Einnahmen aus Kapitalvermögen behält die Steuer zunächst ein, bevor er sie an das Finanzamt entrichtet.

Mit dem Abzug der Kapitalertragssteuer ist die Einkommensteuerschuld grundsätzlich abgegolten (Abgeltungsteuer) Der Steuerpflichtige muss die Kapitaleinkünfte damit nicht mehr in der Steuererklärung angeben. Beträgt der persönliche Einkommenssteuersatz jedoch weniger als 25 %, hat der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Rückzahlung der zu viel entrichteten Abgeltungsteuer, sofern er die Kapitalerträge in der Steuererklärung abgibt (Günstigerprüfung).

Sachverhalt

Der Kläger erzielte als selbständiger Versicherungsmakler gewerbliche Einkünfte, die dem persönlichen Einkommenssteuersatz von über 25 % unterlagen. Zusätzlich erhielt er infolge verschiedener Beteiligungen an Kapitalgesellschaften Kapitaleinkünfte in Form von verdeckten Gewinnausschüttungen und Zinsen, welche mit einem Steuersatz von 25 % besteuert wurden.

Das Finanzamt kam zu der Ansicht, dass dem Kläger Provisionszahlungen zuzurechnen seien. Es erhöhte den gewerblichen Gewinn und damit die Einkommenssteuer.

Urteil des 7. Senats (Beschluss vom 18. März 2022 – 7 K 120/21)

Der 7. Senat des Niedersächsischen FG folgte der Auffassung des Klägers. Die Erhöhung des Gewinns durch die Zurechnung der Provisionen konnten nicht nachvollziehbar durch das Finanzamt belegt werden.

Soweit so gut. Dennoch hatte die Klage (derzeit) keinen Erfolg, da nach rechtlicher Auffassung des Niedersächsischen FGs die festgesetzte Steuer auf die Kapitaleinkünfte zu niedrig ist. Es führt aus, dass die Anwendung der Abgeltungsteuer zwar richtig sei, jedoch gegen das Prinzip der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und einer gleichmäßigen Besteuerung nach individueller Leistungsfähigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Die Abgeltungsteuer hat zur Folge, dass Bezieher privater Kapitaleinkünfte (Steuersatz in Höhe von 25 %) und übriger Steuerpflichtige (Steuersatz in Höhe von bis zu 45 %) ungleich behandelt werden. Die Abgeltungsteuer sei demzufolge als verfassungswidrig einzustufen, da auch die in den Gesetzesmaterialien genannten Rechtfertigungsgründe den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge.

Das Klageverfahren ist damit bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.

Es bleibt abzuwarten, wie sich das Bundesverfassungsgericht zu der Thematik positioniert.

Update vom 18. August 2022

Der Vorlagebeschluss des FG Niedersachsen an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vom 18. März 2022 wurde vom FG Niedersachsen selbst aufgehoben, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben (Beschluss vom 10. August 2022, Az. 7 K 120/21). Da das FG Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zur Abgeltungsteuer hatte, war es verpflichtet, das BVerfG in dieser Sache anzurufen. Das Verfahren wird beim BVerfG unter dem Az. 2 BvL 6/22 geführt. Nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten zur Beendigung des Verfahrens vor dem FG Niedersachsen ist die Vorlage gegenstandslos geworden und der Vorlagebeschluss vom 18. März 2022 war somit aufzuheben. Eine Entscheidung des BVerfG im Zusammenhang mit der Verfassungswidrigkeit der Abgeltungsteuer wird daher vorerst nicht ergehen.

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Senior Associate, Steuerberater, Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e. V.)

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