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Beseitigung von Gesellschaftsbeschlüssen trotz Unanfechtbarkeit

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 6. Dezember 2022 (Az. II ZR 187/21) entschieden, dass ein Gesellschafter von einem Mitgesellschafter selbst dann die Beseitigung eines in sittenwidriger Weise gefassten Gesellschaftsbeschlusses verlangen kann, wenn der Beschluss wegen Zeitablaufs bereits unanfechtbar geworden ist.

10.08.2023
Gesellschaftsrecht

Jedenfalls im Falle einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung kann die Bestandskraft von Gesellschaftsbeschlüssen einem Anspruch auf Rückgängigmachung des Beschlusses nicht hindern, sofern Rechte Dritter dem nicht entgegenstehen.

Hintergrund

Die Entscheidung des BGH erinnert daran, dass Gesellschafter gut beraten sind, u. a. die Regelungen des Gesellschaftsvertrages und die Veröffentlichungen im Handelsregister im Blick zu behalten sowie für das Beschlussmängelrecht und die Bedeutung der Gesellschafterliste sensibilisiert zu sein.

a) Das Beschlussmängelrecht in der GmbH

Auf die GmbH wird in modifizierter Form das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht angewendet. Es wird zwischen anfechtbaren und nichtigen Gesellschaftsbeschlüssen unterschieden. Fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse sind dabei in der Regel nur anfechtbar, wenn nicht ein gesetzlich normierter Nichtigkeitsgrund vorliegt. Sofern die Satzung keine abweichende Regelung enthält, müssen anfechtbare Beschlüsse innerhalb eines Monats im Wege der Anfechtungsklage angegriffen werden. Wird der Beschluss nicht innerhalb der Frist durch eine Anfechtungsklage angefochten, ist er endgültig wirksam.

Eine Berufung auf die Nichtigkeit eines Beschlusses ist demgegenüber jederzeit und auch auf andere Art als durch eine Klage möglich. Allerdings kann ein nichtiger Beschluss heilen, wenn er in das Handelsregister eingetragen ist und seit der Eintragung drei Jahre vergangen sind. Mit der Heilung gilt der Beschluss rückwirkend auf die Beschlussfassung als wirksam. Diese Heilung kann nur durch die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gehemmt werden.

b) Die Bedeutung der Gesellschafterliste

Nur derjenige, der in der im Handelsregister veröffentlichten Gesellschafterliste als Gesellschafter eingetragen ist, gilt als Gesellschafter. Der Eingetragene gilt daher regelmäßig, selbst wenn er nicht der materiell Berechtigte ist, und zwar nur er, der GmbH gegenüber als Gesellschafter. Dies umfasst alle mitgliedschaftlichen Rechte, insbesondere das Teilnahmerecht an Gesellschafterversammlungen, das Stimmrecht, das Auskunftsrecht, das Recht eine Anfechtungsklage zu erheben sowie für Vermögensrechte, wie das Bezugsrecht und den Gewinnanspruch.

Sachverhalt

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag ein Fall zugrunde, in dem an einer GmbH eine mit 80 % beteiligte Mehrheitsgesellschafterin (die Klägerin) und eine mit 20 % beteiligte Minderheitsgesellschafterin (die Beklagte) beteiligt waren. Der Geschäftsführer der GmbH war mit dem Geschäftsführer der Beklagten identisch. Im Laufe eines Gesellschafterstreits bestritt die Beklagte die Gesellschafterstellung der Klägerin und ließ über den Geschäftsführer eine Gesellschafterliste zum Handelsregister einreichen, die sie als Alleingesellschafterin auswies. Sie führte kurz darauf im Oktober 2011 eine Gesellschafterversammlung durch, ohne die Klägerin einzuladen oder sie hierüber zu informieren. In dieser Gesellschafterversammlung stärkte sie ihre Minderheitsrechte, indem sie eine Satzungsänderung beschloss, wonach das Quorum für die Beschlussfähigkeit der Gesellschaft von 75 % auf 85 % angehoben wurde, Gesellschafterbeschlüsse nur noch mit 85 % der Stimmen gefasst werden konnten und die Versammlungsleitung zukünftig nicht mehr durch die Mehrheit bestimmt wurde, sondern durch den Geschäftsführer oder den einladenden Gesellschafter erfolgte. Erst im Dezember 2016 erhob die Klägerin eine Nichtigkeitsklage gegen die Satzungsänderung aus dem Jahr 2011, die jedoch keinen Erfolg hatte, da die Klägerin die dreijährige Heilungsfrist versäumt hatte. Im September 2017 verklagte die Klägerin dann die Beklagte und verlangte, dass diese einer Änderung des Gesellschaftsvertrages zustimmt, mit der die Satzungsänderungen rückgängig gemacht werden.

Das Landgericht Berlin wies die Klage unter Berufung auf die Bestandskraft des Beschlusses zur Satzungsänderung in erster Instanz ab. Das Kammergericht gab der dagegen erhobenen Berufung statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Die hiergegen erhobene Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH entschied, dass die Klägerin gemäß § 826 BGB (Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung) einen Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Satzungszustandes gegen die Beklagte hat.

a) Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig

Der BGH bewertete, wie das Kammergericht, das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB. Die Beklagte hat zur Änderung der Satzung eine formale Rechtsposition ausgenutzt, weil die Gesellschafterliste sie der materiellen Rechtslage zuwider als Inhaberin des Geschäftsanteils der Klägerin auswies. Nur deshalb konnte die Gesellschafterversammlung ohne Ladung der Klägerin abgehalten werden. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin bereits zu ihren Gunsten die Zuordnung eines Widerspruchs gegen die Gesellschafterliste erwirkt hatte und zwischen den Parteien Vergleichsverhandlungen schwebten, in deren Rahmen die Beklagte erklärte, den streitbefangenen Geschäftsanteil nicht abtreten oder belasten zu wollen.

b) Anspruch auf Rückgängigmachung bestandskräftiger Beschlüsse mit Wirkung für die Zukunft bei Sittenwidrigkeit

Der BGH hielt fest, dass gegen den satzungsändernden Beschluss nicht rechtzeitig eine Beschlussmängelklage erhoben worden und die Satzungsänderung daher bestandskräftig war. Der BGH sprach der Klägerin aus § 826 BGB aber einen Schadensersatzanspruch zu, der hier nicht in Geld besteht, sondern darauf gerichtet ist, die durch das sittenwidrige Verhalten verlorene Herrschaftsmacht durch eine erneute Satzungsänderung mit Wirkung für die Zukunft wieder herzustellen. Die Unanfechtbarkeit eines sittenwidrig erwirkten satzungsändernden Gesellschafterbeschlusses schließe ein darauf gestütztes, auf Wiederherstellung der ursprünglichen Satzung gerichtetes, Schadensersatzverlangen des geschädigten Gesellschafters nicht aus. Voraussetzung sei, dass nicht schutzwürdige Rechte (außerhalb der Gesellschaft stehender) Dritter entgegenstehen. Das war hier allerdings nicht der Fall, da Dritte stets mit Satzungsänderungen rechnen müssten.

Die Frage, ob der Schadensersatzanspruch der Klägerin verjährt war, brauchte nicht geklärt zu werden. Die Beklagte war nämlich nach § 852 BGB (Herausgabeanspruch nach Eintritt der Verjährung) verpflichtet, der begehrten Änderung der Satzung auch nach Eintritt der Verjährung zuzustimmen.

Empfehlung für die Praxis

Die Entscheidung des BGH ist bisher in der Literatur auf allgemeine Zustimmung gestoßen. Gleichwohl sollte nicht davon ausgegangen werden, dass aus ihr die Bedeutung der Fristen für Beschlussmängelklagen vermindert würde. Dem Fall, den der BGH zu entscheiden hatte, lag auf Grundlage des unstreitigen Sachverhalts ein offensichtlich sittenwidriges Verhalten der Beklagten zugrunde. Die Feststellung der Sittenwidrigkeit in einem Rechtsstreit stellt im Allgemeinen jedoch eine äußerst hohe Hürde für den dahingehend grundsätzlich darlegungs- und beweisbelasteten Kläger dar.

Daher sollte immer auf die fristgemäße Erhebung einer Anfechtungsklage geachtet werden. Ihr Erfolg unterliegt nicht so strengen Anforderungen, wie eine Klage auf Schadensersatz aus vorsätzlich sittenwidriger Schädigung und es muss nicht zwischen anfechtbaren und nichtigen Beschlüssen differenziert werden.

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Dr. Gerrit Gös
Dr. Gerrit Gös

Senior Associate, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Claus Ludwig Meyer-Wyk
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