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BFH zur Aussetzung der Vollziehung der Säumniszuschläge

Wird eine Steuer vom Steuerpflichtigen nicht bis zum Ablauf der Fälligkeit entrichtet, fallen nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO für jeden angefangenen Monat der Säumnis Säumniszuschläge in Höhe von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags an. Säumniszuschläge stellen daher ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuern dar.

07.06.2023
Steuerberatung für Privatpersonen

Säumniszuschläge fallen unabhängig davon an, ob eine Steuer zutreffend festgesetzt wird. Wird eine Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert, bleiben die festgesetzten Säumniszuschläge unberührt.

Die Finanzbehörde kann aber auch den angefochtenen Verwaltungsakt gemäß § 361 AO ganz oder teilweise aussetzen. Somit wird die Vollziehbarkeit des streitigen Verwaltungsaktes gehemmt. Die Aussetzung der Vollziehung (AdV) kann insbesondere auch die Säumniszuschläge betreffen, sofern gegen ihre Festsetzung Einspruch eingelegt und dieser entsprechend begründet wird.

In unserem Beitrag vom 5. April 2023 haben wir über die Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau berichtet. Fraglich ist jedoch die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Säumniszuschlägen, wenn aufgrund von ernstlichen Zweifeln hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieser Norm des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO AdV gewährt wurde.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 28. Dezember 2022 (Az. III B 48/22) festgestellt, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Säumniszuschläge bestehen, wenn mehrere Senate des BFH in vergleichbaren Fällen AdV gewähren und parallel dazu ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO äußern. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO bestehen auch dann regelmäßig, wenn eine Entscheidung von einer Rechtsfrage abhängig ist, die von mehreren BFH-Senaten unterschiedlich oder widersprüchlich behandelt wird. (1. Leitsatz).

Im Falle einer Bejahung der gewichtigen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO und damit an der Rechtmäßigkeit der auf diese Norm gestützten Bescheide durch mehrere BFH-Senate, sei es nach Ansicht des BFH nur folgerichtig, den angefochtenen Verwaltungsakt nicht in geringerem Umfang als diese Senate auszusetzen (2. Leitsatz).

Sachverhalt

Das Finanzamt erließ im Jahr 2022 Abrechnungsbescheide, die nach dem 31. Dezember 2018 entstandene Säumniszuschläge auf Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag aus dem Zeitraum 2015 bis 2019 und auf Umsatzsteuer aus dem Zeitraum 2015 bis Januar 2020 auswiesen. Gegen die Bescheide wurde jeweils fristgemäß Einspruch eingelegt und die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung beantragt. Das Einspruchsverfahren sowie die Anträge auf Gewährung von AdV blieben erfolglos. Das Finanzgericht setzte die Säumniszuschläge von der Vollziehung aus. Das Finanzamt hat daraufhin in einem Beschwerdeverfahren die Aufhebung des Beschlusses des Finanzgerichts beantragt.

Beschluss des BFH

Der BFH hat die Beschwerde des Finanzamtes in seinem oben genannten Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Eine Voraussetzung für die Gewährung von AdV seien ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Diese seien gegeben, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Ernstliche Zweifel könnten auch durch die verfassungsrechtlichen Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm begründet sein.

Im vorliegenden Streitfall bestehen nach Ansicht des BFH ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge im Sinne von § 240 Abs. 1 Satz 1 AO. Hinzutreten würden die zahlreichen anderen BFH-Beschlüsse, in welchen in vergleichbaren Fällen AdV gewährt wurde. Die verfassungsrechtlichen Zweifel beruhten im Kern darauf, dass die in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelte Zinshöhe für die streitgegenständliche Zeit als nicht realitätsgerecht angesehen wird. Diese Zweifel könnten unter Berücksichtigung des einstweiligen Rechtsschutzes auf die Säumniszuschläge gemäß § 240 AO übertragen werden. Der BFH führt weiter aus, dass, soweit in den Säumniszuschlägen ein Zinsanteil enthalten ist, der von Verwaltung und ständiger Rechtsprechung regelmäßig mit 0,5 % pro Monat angenommen wird, hinsichtlich der Höhe der Säumniszuschläge verfassungsrechtliche Zweifel bestünden. Diese Zweifel seien auch durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 2021 (Az. 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17), im Zusammenhang mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe, nicht ausgeräumt worden, sodass die Vollziehung der streitgegenständlichen Abrechnungsbescheide aufzuheben bzw. auszusetzen war.

Einschätzung und Ausblick

Der Senat widerspricht somit der in unserem Beitrag vom 5. April 2023 zitierten Entscheidung und stellt fest, dass die Höhe des versteckten Zinsanteils sehr wohl verfassungsrechtliche Bedenken an der Regelung des § 240 AO hervorrufen kann. Dieser Umstand führt zu einer für Steuerpflichtige uneindeutigen Situation. Es empfiehlt sich jedoch, insbesondere unter Berufung auf die vorgenannte Entscheidung und die darüber hinaus im Rahmen des Beschlusses zitierten Beschlüsse gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen Einspruch einzulegen und AdV zu beantragen.

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