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Jahressteuergesetz 2024 will zeitnahe Mittelverwendung bei steuerbegünstigten Körperschaften abschaffen

In dem weiteren Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2024 (JStG 2024 Teil II), der auf den 10. Juli 2024 datiert, wird unerwartet ein zentraler Grundsatz des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts aufgehoben: Die Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung, § 55 Abs. 1 Nr. 5 Abgabenordnung (AO) soll entfallen. Mit den erforderlichen Folgeänderungen entfallen u. a. auch die differenzierten Regelungen zur Rücklagen- und Vermögensbildung in § 62 AO. Das erzeugt Unsicherheit.

15.07.2024
Stiftungs- und Verbandsrecht
1. Zeitnahe Mittelverwendung – Hintergrund und Ziel der Aufhebung

Die Selbstlosigkeit ist einer der zentralen Grundsätze des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts der Abgabenordnung (AO). Steuerbegünstigte Körperschaften müssen nach den Vorgaben des § 55 AO selbstlos handeln, d. h., sie dürfen weder selbst noch zugunsten ihrer Mitglieder eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgen (z. B. gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke). Soweit der Grundsatz. Die Voraussetzungen im Einzelnen führt § 55 Abs. 1 Nr. 1 – 5 AO auf.

Die Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung in § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO beinhaltet die gesetzliche Verpflichtung, Mittel (z. B. Spenden, Beiträge, Erträge aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben oder der Vermögensverwaltung) nicht dauerhaft im Vermögen der Körperschaft zu belassen, sondern möglichst zügig für steuerbegünstigte Satzungszwecke auszugeben, konkret spätestens in den auf den Zufluss folgenden zwei Kalender- oder Wirtschaftsjahren. Steuerbegünstigte Körperschaften müssen darüber bisher gegenüber dem Finanzamt aufwändige Nachweise in Form von Mittelverwendungsrechnungen erbringen. Hier will der Gesetzgeber durch Bürokratieabbau Erleichterungen verschaffen (von dieser Pflicht ausgenommen waren sog. Kleinstkörperschaften mit jährlichen Einnahmen von nicht mehr als EUR 45.000,00, BMF-Schreiben vom 6. August 2021).

Der Gesetzgeber begründet die Aufhebung des § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO zudem mit Erleichterungen bei Leistungsbeziehungen zwischen steuerbegünstigten Körperschaften und gibt folgendes Beispiel: Vermietet beispielsweise eine gemeinnützige Körperschaft eine Immobilie, die sie mit zeitnah zu verwendenden Mitteln angeschafft hat, an eine andere gemeinnützige Körperschaft, die diese Immobilie für gemeinnützige Zwecke verwendet, führt diese Nutzungsänderung vom ideellen Bereich in die Vermögensverwaltung bisher zum Wiederaufleben der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung. Die ursprünglich für die Anschaffung aufgebrachten Mittel müssten für den ideellen Bereich nachträglich zeitnah verwendet werden, obwohl sie weiterhin im Objekt „gebunden“ sind.

Der Gesetzgeber begründet die Aufhebung ferner damit, dass die allgemeinen gemeinnützigkeitsrechtlichen Grundsätze, insbesondere der Grundsatz der Ausschließlichkeit (§ 56 AO), eine nachhaltige Mittelverwendung für Satzungszwecken hinreichend sicherstellten. Nicht zuletzt seien auch die Spender an einem zügigen Einsatz eingeworbener Mittel für Satzungszwecke interessiert.

2. Weitere Folgeänderungen (Gesetzentwurf)

Mit der geltenden grundsätzlichen Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung bedurften Ausnahmen – wie die Bildung von Rücklagen oder Maßnahmen zur Vermögensbildung – einer expliziten Ausnahmeregelung, derzeit in § 62 AO.

Im Zuge der Aufhebung des § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO werden Folgeänderungen erforderlich, darunter auch die Aufhebung des § 62 AO mit allen eingeführten Regelungen über die Rücklagenbildung/-verwendung und über die Vermögensbildung.

Weiterhin soll in § 58 Nr. 3 AO („Endowment“) der Passus zu zeitnah zu verwendenden Mitteln aufgehoben werden und künftig im Kontext wie folgt lauten: Die Steuervergünstigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass … „eine Körperschaft ihre Überschüsse der Einnahmen über die Ausgaben aus der Vermögensverwaltung, ihre Gewinne aus den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben ganz oder teilweise und darüber hinaus höchstens 15 Prozent ihrer sonstigen Mittel einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zur Vermögensausstattung zuwendet.“

§ 63 Absatz 4 (Fristsetzung zur Mittelverwendung durch das Finanzamt) soll ebenfalls aufgehoben werden.

3. Fazit und Praxishinweise

Zunächst lesen sich die Änderungen wie eine große Befreiung von bürokratischem Aufwand, auch für die Leistungsbeziehungen unter steuerbegünstigten Körperschaften, etwa in Vermietungsfällen. Es klingt danach, dass bisher aufwändige Dokumentationen, aber auch Analysen des Mittel- und Vermögensbestandes der vier Sphären steuerbegünstigter Körperschaften, des Bestandes von Projekt- und freien Rücklagen sowie Abstimmungen mit dem zuständigen Finanzamt entfallen könnten.

In der Praxis und dem gemeinnützigen Sektor herrscht allerdings zu Recht Unverständnis über diesen überflüssigen und offenbar unbedachten Vorstoß. Statt Erleichterung ist bereits jetzt Unsicherheit entstanden. Mit den aktuell geltenden Regelungen konnten steuerbegünstigte Körperschaften gut umgehen, vor allem boten sie rechtssichere Leitlinien für die Vermögensbildung.

Und nun? Darf bald jede steuerbegünstigte Körperschaft frei austarieren, welche Mittel sie „zügig“ für die Satzungszwecke einsetzt und welche Anteile sie zur Vermögensbildung oder für (weiterhin erforderliche) Rücklagen einsetzt?

Dürfen etwa Stiftungen jetzt für jedes Geschäftsjahr oder auch weiterhin nachträglich einen der tatsächlichen Inflation entsprechenden Teil der Mittel in eine (bislang sog.) freie Rücklage einstellen? Welcher Begründungsaufwand wird erwartet, wenn die Finanzverwaltung dann doch unter Berufung auf § 56 AO Belege, Begründungen oder einen Wechsel der Finanzpolitik der Stiftung einfordert?

Der schlanke Satz in vielen Satzungen steuerbegünstigter Körperschaften, „Die Gesellschaft kann im Rahmen des steuerlich Zulässigen Rücklagen bilden.“, dürfte künftig entweder obsolet (freie Organbeschlüsse) oder keine hinreichende Regelung mehr sein (Gebot des § 56 AO schärfen). Jedenfalls Stiftungssatzungen müssten eigene dezidierte Regelungen zur Vermögensbildung aufnehmen. Gleiches gilt für den Umgang mit Zuwendungen ohne Verwendungsbestimmung.

Relevant wird die Zuordnung z. B. für die Anwendung des – im Übrigen völlig unverständlich – umgestalteten § 58 Nr. 3 AO. Wenn eine Körperschaft künftig „höchstens 15 Prozent ihrer sonstigen Mittel“ zur Vermögensausstattung einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft zuwenden darf, müssen diese „sonstigen Mittel“ vorab definiert werden. Sie ergeben sich aus den Beschlüssen des zuständigen Organs über die Zuweisung von Zuwendungen in die Bereiche „Zweckerfüllung“, „Rücklage“ und „Vermögensbildung“. Damit behält der § 58 Nr. 3 AO das bisherige Prinzip bei, von dem sich der Gesetzgeber doch im Großen verabschiedet. Ein Redaktionsversehen?

Die Belegdichte und die Beschlusslandschaft werden also allen steuerbegünstigten Körperschaften mindestens erhalten bleiben. Daran ändert sich nichts, nur die Leitlinien fehlen künftig. Möge sich der Gesetzgeber bitte noch einmal mit seinen Vorschlägen befassen.

Den Entwurf eines zweiten Jahressteuergesetzes (siehe Seiten 25, 26 und 94) finden sie hier.

Über Gesetzesvorhaben im Zusammenhang mit dem steuerlichen Gemeinnützigkeitsrecht und steuerbegünstigter Körperschaften informieren wir Sie gern und beraten Sie bei notwendigen Satzungsanpassungen sowie Vermögensverwaltung aus steuerlicher Sicht.

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